Nachfolgend ein Beitrag vom 22.08.2016 von Lenz, jurisPR-HaGesR 8/2016 Anm. 1
Leitsätze
1. Beim Streckengeschäft hat die handelsrechtliche Mängelrüge grundsätzlich entlang der Kaufvertragsverhältnisse zu erfolgen (Anschluss an BGHZ 110, 130; Abgrenzung zu OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 21.06.2012 – 15 U 147/11).
2. Im Fall einer erkannten und genehmigten Falschlieferung besteht für den Käufer Anlass, im Rahmen des § 377 HGB besonders sorgfältig zu untersuchen, ob die gelieferte Ware in den vertragswesentlichen Eigenschaften der bestellten entspricht (Fortführung BGH, ZIP 2016, 722).
3. Fragt der Käufer aufgrund eines Mangelverdachts beim Hersteller nach und gibt ihm der Hersteller eine falsche Auskunft, entlastet das den Käufer mit Blick auf die Mängelrüge nach § 377 HGB gegenüber dem Verkäufer nicht. Die Auskunft des Herstellers ist dem Verkäufer grundsätzlich nicht zuzurechnen.
A. Problemstellung
Der Entscheidung liegen im Zusammenhang mit der einschlägigen und im Vordergrund stehenden Regelung des § 377 Abs. 2 HGB vor allem die bei Streckengeschäften häufig relevant werdenden Fragen rund um die verschiedenen Interessenlagen – die des Empfängers der Ware (des Dritten), die des rügepflichtigen Käufers und die des Rügeempfängers, des Verkäufers – zugrunde.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine Dachdeckerin, hatte bei der Beklagten, einer Lieferantin von Baumaterialien, Dämmplatten gekauft (§ 433 BGB), um damit bei ihrer Auftraggeberin („Bauherrin“) ein Turnhallendach neu eindecken zu können. Ihrerseits hatte die Beklagte die Dämmplatten entsprechenden Typs daraufhin beim Hersteller geordert. Der Hersteller hat diese im Jahre 2012 direkt auf die Baustelle der Klägerin (bei der Bauherrin) geliefert. Der Bauleiter der Bauherrin (Dritte) hatte bei der Anlieferung die (im Ergebnis unstreitige) Falschlieferung gegenüber dem im Werkvertrag mit der Klägerin genannten Typ Dämmplatten erkannt und – anstatt sich an die Klägerin zu halten – beim Hersteller nachgefragt und die Antwort erhalten, es handele sich zwar um ein anderes, aber eben auch um ein wesentlich verbessertes Produkt, was sich allerdings später als unzutreffend erwies.
Ein Jahr danach zeigten sich Unregelmäßigkeiten an den verlegten Dachfolien. Der von der Klägerin u.a. beauftragte Sachverständige kam mit Gutachten vom 14./16.04.2014 zu dem Ergebnis, dass die angelieferte Dämmung nicht mit dem vertraglichen Inhalt übereinstimmte. Daraufhin erfolgte die Mängelanzeige der Bauherrin an die Klägerin. Schließlich schloss die Klägerin mit der Bauherrin einen Vergleich und verpflichtete sich zur Nachbesserung und Minderung und zur Übernahme von Kosten.
Die Klägerin nahm daraufhin die Beklagte, die Großhändlerin der Dämmplatten, ihrerseits in Anspruch aus Sachmängelhaftung und Schadenersatz.
Das OLG Karlsruhe hat etwaig bestehende Ansprüche der Klägerin auf Minderung (§ 437 Nr. 2, § 441 BGB) und auf Schadenersatz (§ 437 Nr. 3, §§ 280, 281 BGB) sowie aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) – wie schon das Landgericht als Vorinstanz – mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Die Mängelhaftung greife schon deshalb nicht – und dies macht den Kern der Entscheidung aus –, weil die gelieferten Dämmplatten nach § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt gelten. Denn die Klägerin habe eine unverzügliche Mängelrüge unterlassen.
Das Oberlandesgericht wies die Ansprüche zu Recht zurück. Denn die Klägerin hatte keine – zum nach § 377 Abs. 1, Abs. 2 HS. 1 HGB grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Ablieferung im Jahre 2012 – unverzügliche Rüge gegenüber der Beklagten ausgesprochen, so dass § 377 Abs. 2 HGB einschlägig war. Das Oberlandesgericht stellte explizit heraus, dass im Verhältnis der Parteien untereinander keine Anzeige „irgendeiner Art“ erfolgt sei. Dies wäre aber notwendig gewesen. Denn bei einem Streckengeschäft – wie es vorliege – sei anerkannt, dass die Mängelrügen grundsätzlich entlang der Vertragsverhältnisse erfolgen müssen, dass also der Endabnehmer den Zwischenhändler und dieser seinerseits den Erstverkäufer von Mängeln zu unterrichten habe. Zwar könne auch eine Direktrüge des Endabnehmers genügen, aber nicht, wenn die Rüge nicht an die Beklagte (vielmehr in concreto nur an den Hersteller) gegangen sei. Ausgehen müsse die Anzeige zudem grundsätzlich vom Käufer, was auch nicht geschehen sei.
Es habe auch kein versteckter Mangel vorgelegen, denn schon im Jahre 2012, also zum Zeitpunkt der Ablieferung, war erkennbar, dass es sich (unstreitig) um eine Falschlieferung gehandelt habe. Selbst wenn man aber auf die fehlende Gleichwertigkeit (anstatt nur auf die unstreitige Falschlieferung) abstellen wollte – so das Oberlandesgericht –, wäre bei ordnungsgemäßer Untersuchung (gemessen an den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung u.a. unter Berufung auf BGH, Urt. v. 24.02.2016 – VIII ZR 38/15 – ZIP 2016, 722 Rn. 20 ff.) auch diese früher erkennbar gewesen.
Zudem müsste sich die Klägerin selbst dann, wenn zu ihren Gunsten die Nachfrage des Bauherrn beim Hersteller als ordnungsgemäße Untersuchung angesehen werden könnte, die Falschangabe des Herstellers, also dessen fehlerhafte Antwort, über die fehlende Gleichwertigkeit zurechnen lassen. Zumutbarkeitsgesichtspunkte würden zugunsten der Klägerin nicht zu anderen Ergebnissen führen. Damit war die Klägerin insgesamt, was Ansprüche aus Minderung und/oder Schadenersatz angeht, präkludiert.
Nur der Vollständigkeit halber: Da der Kaufvertrag auch nicht wirksam angefochten worden war, lagen auch die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 812 BGB nicht vor.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung steht im Kontext der bisherigen Rechtsprechung bei Streckengeschäften (vgl. BGH, Urt. v. 24.01.1990 – VIII ZR 22/89 – BGHZ 110, 130 = NJW 1990, 1290, 1292; BGH, Urt. v. 29.03.1978 – VIII ZR 245/76 – NJW 1978, 2394; Lenz, Produkthaftung, 2014, S. 75 ff.; 82).
D. Auswirkungen für die Praxis
Für den Praktiker ist die Kenntnis der Rechtsprechung zu der zentralen Norm des § 377 HGB – insbesondere im Zusammenhang mit Streckengeschäften –, wie auch diese Entscheidung wiederum verdeutlicht, unverzichtbar. Die Situation, in der der Empfänger der Ware ohnehin Risiken trägt, wird verschärft bei der Lieferung an Dritte. Jeder Käufer bzw. jeder Warenempfänger sollte sich daher auf die Bedeutung der Untersuchung bei der Ablieferung der Ware, komme was wolle, einstellen und ggf. Gehilfen, in concreto im Einzelfall Sachverständige, zur Untersuchung schicken. Dies erscheint bei Streckengeschäften fast zwingend. Sonst kann er alle Ansprüche verlieren („alles oder nichts“).